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Offener Brief an den Kanzler: Ostdeutsche IHK-Präsidenten kritisieren Regierungshandeln scharf

NEUBRANDENBURG (IHK/PM). Die ostdeutsche Wirtschaft adressiert schwere Fehler im Regierungshandeln an den Kanzler. Politische Entscheidungen müssen wieder vernünftig vorbereitet, abgewogen, sachgerecht erklärt und begründet werden. In einem offenen Brief an den Kanzler kritisieren die ostdeutschen Präsidenten der Industrie- und Handelskammern die fehlende Einbindung und Berücksichtigung der Wirtschaft bei politischen Entscheidungen mit großer wirtschaftlicher Tragweite. Immer öfter leiden Unternehmen darunter, aber auch die Wettbewerbsfähigkeit und das Vertrauen in Politik sind stark geschwächt. Technologieverschlossenheit, steigende Bürokratie, Anreize der Ampel für Nicht-Arbeit und ein steter Widerspruch zwischen Worten und Taten bringen die Wirtschaft weiter in Schieflage.

Die Bundesregierung gebe ein desolates Bild ab und trage mit dem fehlerhaften Handeln weiter zu einer aufgeheizten Stimmung im Land bei. Insbesondere vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst 2024 herrscht große Beunruhigung mit Blick auf die Zukunft des Wirtschaftsstandortes, aber auch des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der demokratischen Kultur.

„Wenn der Kanzler und die Ampelregierung nicht grundlegend umsteuern und den Belangen der Wirtschaft wieder mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung widmen, fürchte ich, dass sich die Lage der Unternehmen weiter verschlechtert und sich die Stimmung im Land weiter aufheizt“, betont Dieter Bauhaus, Präsident der IHK Erfurt.


Offener Brief des Heringsdorfer Kreises

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

zu Beginn des Wahljahres 2024 sind wir in großer Beunruhigung mit Blick auf die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratische Kultur. Daran hat auch die Bundesregierung einen erheblichen Anteil.

Die regionale Wirtschaft, für die wir als Präsidentin und Präsidenten der ostdeutschen Industrie- und Handelskammern Verantwortung tragen dürfen, steckt in einem sich zuspitzenden Dauerkrisenmodus.

Wir führen das vor allem darauf zurück, dass ein bewährtes wohlstandsflankierendes Prinzip der Bundesrepublik mehr und mehr verloren geht, nämlich die aktive Einbindung verschiedener Interessen in den politischen Prozess. Diese trägt maßgeblich zur Transparenz, zum Verständnis und damit letztlich zum Erfolg politischer Entscheidungen bei. Stattdessen machen sich eine Kultur des „Entscheidens ohne Einbindung“ und ein eklatanter Unterschied zwischen Worten und Taten der Bundesregierung breit.

Der Haushaltseklat im Bund Ende vergangenen Jahres hat dies überdeutlich vor Augen geführt und erhebliche Eruptionen in Wirtschaft und Gesellschaft verursacht. Aus vielen Brandherden, die bereits vorher bestanden, kann durch den Umgang der Bundesregierung mit dem Karlsruher Urteil ein Flächenbrand werden. Die Landwirte und Teile des Mittelstands rebellieren gegen zunehmende, sehr kurzfristig beschlossene Belastungen, bei wichtigen Schlüsselvorhaben der Wirtschaft wird gekürzt und bei Kostenentwicklungen im Energie- und Baubereich ist keine Planungssicherheit gegeben, weder für Verbraucher noch für Unternehmen. Hinzu kommt, dass die durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verschärfte Unbeständigkeit in den Fragen von Versorgung und Kostenbewältigung für Energie bis heute nicht überwunden werden konnte. In einer Situation, in der wesentliche Engpässe und damit verbundene Planungsunsicherheiten zu bewältigen sind, verabschieden wir uns in Deutschland von grundlastfähigen Technologien und schaffen es nicht, die Voraussetzungen für einen schnellen und unkomplizierten Ausbau der erneuerbaren Energien im unternehmerischen Umfeld sicherzustellen.

Das fehlende Bekenntnis der Bundesregierung zu Technologieoffenheit im Energiebereich hemmt Innovationen und Investitionen und damit die gesamte, für die Wirtschaft zwingend notwendige Transformation. Damit nehmen Sie mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in Kauf, anstatt endlich für marktgängige Praxis zu sorgen. Ein innovatives und aussichtsreiches Vorhaben petrothermaler Tiefengeothermie kann beispielsweise in Erfurt nicht umgesetzt werden, weil eine Förderung dieser Technologie ausgeschlossen wird. Das kostet Vertrauen und schafft neuen Unmut und Unsicherheiten.

Weiterhin ist der Abbau bürokratischer Belastungen auf Seiten der Unternehmen eine beständige Forderung der Wirtschaft, auf die stets mit Verständnis und Aufgeschlossenheit, aber nie mit konkreten Umsetzungen und Initiativen reagiert wird. Anstatt Regulierungen herunterzuschrauben, erwarten wir in der nächsten Zeit massiv steigende regulatorische Anforderungen an Unternehmen, die immer mehr Kosten und Verdruss verursachen.

Auch wiederholt angekündigte Entlastungen der Unternehmen bei Steuern, Abgaben und Arbeitskosten enden stets in einem überwiegend politisch motivierten Strudel von Steigerungen und regulatorischer Ausreizung.

Demgegenüber bläht der Staat Sozialleistungen auf und setzt Anreize für Nicht-Arbeit, was von Unternehmerseite finanziert werden muss und damit einen Malus für notwendige Investitionen darstellt. Offenkundig geht die Maxime verloren, dass vor dem Verteilen das Erwirtschaften kommt. Damit geraten sämtliche Überzeugungen und Mechanismen, die Deutschland zu einem starken Wirtschaftsstandort gemacht haben, in Schieflage.

All dies führt dazu, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erodiert. Während führende Industrienationen enorme Investitionsaufwendungen, Anreizsysteme und Regulierungserleichterungen manifestieren, um Transformationsprozesse zu flankieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, scheitert es hierzulande an fehlendem politischem Willen.

Besonders ärgerlich für die Wirtschaft sind in diesem Zusammenhang zu kurze Zeitfenster für Beteiligungen und Stellungnahmen von Wirtschaftskammern, Verbänden und Interessengruppen, kaum nachvollziehbare oder gar fehlende Begründungen für politische Entscheidungen sowie unzureichende Wertschätzung gegenüber den Leistungsträgern unserer Gesellschaft.

Das desolate Bild der Bundesregierung in der Öffentlichkeit und die aufgeheizte Stimmung im ganzen Land sind hausgemacht und, nicht zuletzt mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, Wasser auf die Mühlen extremer Kräfte. Das bereitet uns große Sorgen.

Wenn sich an Ihrem Handeln und Auftreten nichts grundlegend ändert, fürchten wir, dass ein ostdeutsches Bundesland nach dem nächsten zu einem Sehnsuchtsort für Rechtsextremisten und wirtschaftlich zum Transitland verkommt.
Die internationale und innerdeutsche Attraktivität für qualifizierte Zuwanderung, Investitionen und Ansiedlungen wäre absehbar komplett zerstört. Unsere wohlstandsorientierte, auf Sicherheit und Freiheit basierende Demokratie dürfen wir nicht tatenlos aufgeben. Wir erwarten, dass Entscheidungen endlich wieder vernünftig vorbereitet, abgewogen und bei Verkündung auch sachgerecht erklärt und begründet werden. Dabei darf der unmittelbare Dialog zwischen Politik und Gesellschaft nicht gemieden, sondern muss proaktiv initiiert werden.

Herr Bundeskanzler, das beste Mittel gegen Rechtspopulismus ist eine sachorientierte und abgestimmte politische Arbeit. Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung!

Mit freundlichen Grüßen
Dieter Bauhaus
Präsident IHK Erfurt

Max Jankowsky
Präsident IHK Chemnitz

Jens Warnken
Präsident IHK Cottbus

Dr. Andreas Sperl
Präsident IHK Dresden

Prof. Dr.-Ing. Steffen Keitel
Präsident IHK Halle-Dessau

Kristian Kirpal
Präsident IHK zu Leipzig

Klaus Olbricht
Präsident IHK Magdeburg

Dr. Wolfgang Blank
Präsident IHK Neubrandenburg für das östliche Mecklenburg-Vorpommern

Carsten Christ
Präsident IHK Ostbrandenburg

Dr. Ralf-Uwe Bauer
Präsident IHK Ostthüringen zu Gera

Ina Hänsel
Präsidentin IHK Potsdam

Klaus-Jürgen Strupp
Präsident IHK zu Rostock

Matthias Belke
Präsident IHK zu Schwerin

Torsten Herrmann
Präsident IHK Südthüringen